Eine polemische Kritik an einem Antrag, der hoffentlich nie beschlossen wird
- kpeterl
- vor 3 Minuten
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TL;DR: Ein Antrag gegen Antisemitismus, der über Antisemitismus schweigt – dafür aber viel über Definitionen Redet. Kein Wort zu Bedrohung und Gewalt gegen Jüdische Menschen. Wer so schreibt, schützt nicht Jüdische Menschen, sondern nur die eigene linke Komfortzone.

Zum Antrag G.03 „Antisemitismus, Repression und Zensur bekämpfen – Jerusalemer Erklärung umsetzen“ der Linkspartei
Eine polemische Kritik an einem Antrag, der hoffentlich nie beschlossen wird
„Die Linke lehnt die Praxis ab, die ‚Arbeitsdefinition Antisemitismus‘ der IHRA [...] als verbindliche Definition vorzuschreiben.“– Antrag G.03, Zeilen 13–14
Man muss nicht alle Resolutionen des Bundestages schätzen, aber man sollte wissen, warum sie verabschiedet werden. Der Antrag G.03 indes weiß vor allem, wogegen er ist: Gegen Definitionshoheiten, gegen Israelfreundlichkeit, gegen Repression. Wogegen er nicht ist: gegen Antisemitismus – es sei denn, er wird im falschen Tonfall kritisiert.
Der Antrag erhebt sich zur moralischen Oberinstanz über all jene, die meinen, Antisemitismus sei eine Bedrohung jüdischer Existenz – und nicht bloß ein begriffliches Minenfeld, in dem es die linken Truppen vor sich selbst zu retten gilt. Statt Jüdinnen und Juden zu schützen, verteidigt dieser Antrag das gute Gewissen ihrer Kritiker.
Zur Realität antisemitischer Bedrohung – oder was man alles ausblenden kann, wenn man nur will
Es ist ein Kunststück, einen vierseitigen Antrag zum Thema Antisemitismus zu verfassen, ohne ein einziges Mal die Namen „Halle“, „Hamburg“ oder „Neukölln“ zu erwähnen. Keine Rede von den Taten von Stephan Balliet, von den Schlägen gegen Kippa tragende Männer, von antisemitischen Bedrohungen in Klassenzimmern und Moscheen. Der Begriff „Angriff“ fällt exakt kein einziges Mal – ebenso wenig wie „Judenfeindlichkeit“ oder „rechtsextrem“.
Stattdessen: ein rhetorischer Schutzwall gegen jene, die sich zu weit vorgewagt haben im Kampf gegen Antisemitismus. Es ist, als wolle man ein Haus gegen Brandstiftung sichern, indem man die Feuerwehr vom Gelände verbannt – sie könnte ja zu autoritär löschen.
Diese Definition ermöglicht die Bekämpfung und das Monitoring von Antisemitismus und ist auch für Bildungszwecke notwendig.“– Antrag G.03, Zeilen 11–12
Der Satz klingt wie ein Lob der JDA – ist aber eine subtile Breitseite gegen die IHRA. Denn wo Monitoring zum Ziel erklärt wird, wittern die Antragsteller*innen schon den Geheimdienst im Hörsaal. Repression sei zu befürchten, „Geheimdienstkontrollen, Personenüberprüfungen und Bekenntniszwänge“ (Zeilen 16–17). Die Phantasie reicht weit – bis zur Praxis aber kommt sie nicht.
„Die Linke stellt sich auch gegen die im Bundestag verabschiedeten Resolutionen [...] 'Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Schulen und Hochschulen'.“– Zeilen 22–24
Man fragt sich, was die Alternative ist. Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Schulen und Hochschulen dulden? Der Antrag schweigt dazu. Stattdessen wird beklagt, dass solche Resolutionen „ein Klima der Angst“ erzeugten (Zeile 27). Für wen? Für Lehrer, die antisemitische Übergriffe melden? Oder für Aktivist*innen, die Israel das Existenzrecht absprechen möchten, ohne dass das jemand Antisemitismus nennt?
Zum Umgang mit jüdischen Betroffenen – oder: Die einen Juden sind gleicher als die anderen
Man darf es den Verfasserinnen des Antrags nicht vorwerfen, dass sie jüdische Stimmen ernst nehmen. Man muss ihnen aber vorwerfen, dass sie nur die hören wollen, die das sagen, was sie selbst denken. Jüdinnen und Juden kommen im Antrag vor – als Opfer von Repression, als Kritikerinnen der IHRA, als progressive Verbündete. Nicht aber als Gemeindemitglieder, die um den Schutz ihrer Synagogen fürchten, als Kinder, die auf dem Schulweg „Kindermörder Israel!“ hören, oder als Rabbiner, die Polizeischutz brauchen, um durch Neukölln zu laufen.
„Knapp 100 jüdische Intellektuelle reagierten in einem offenen Brief auf die geplante Antisemitismus-Resolution des Bundestags [...]“– Seite 24
Hundert sind schnell gezählt. Die hunderttausend, die regelmäßig von Antisemitismus betroffen sind, kommen nicht zu Wort. Der Antrag tut, was er vorgibt zu bekämpfen: Er instrumentalisiert jüdische Stimmen – nicht, um sie zu schützen, sondern um den eigenen Definitionsanspruch zu legitimieren.
„Die Vielfalt des jüdischen Lebens in Deutschland eher schwächen als stärken“– ebd.
Diese Vielfalt besteht offenbar nur dort, wo die eigene politische Linie reproduziert wird. Dass große Teile der jüdischen Gemeinden die IHRA-Definition unterstützen, dass jüdische Organisationen wie der Zentralrat sie als Schutzinstrument verteidigen – all das findet keinen Eingang in den Text. Vielfalt? Ja, solange sie nicht widerspricht.
Zur Ernsthaftigkeit des Kampfes gegen Antisemitismus – oder: Der Feind steht links von der Realität
Wer einen Antrag zur Bekämpfung des Antisemitismus schreibt und dabei mehr Zeilen auf die Kritik an seiner Definition als auf den Antisemitismus selbst verwendet, hat den Ernst der Lage entweder nicht erkannt – oder ignoriert ihn vorsätzlich. Der Begriff wird zur Chiffre einer Debatte, in der nicht mehr gefragt wird: Wie schützen wir Jüdinnen und Juden?, sondern: Wie schützen wir uns vor dem Verdacht, antisemitisch zu sein?
„Die Linke muss sich endlich offensiv mit Antisemitismus und den neusten Forschungsergebnissen auseinandersetzen.“– Seite 23
So klingt es, wenn man sich aus der Verantwortung argumentiert. Anstelle konkreter Maßnahmen: Literaturverweise. Anstelle von Zivilcourage: Fußnoten. Man fragt sich, ob das Ziel dieses Antrags wirklich die Bekämpfung von Antisemitismus ist – oder nicht vielmehr dessen administrative Entschärfung, damit niemand mehr so genau hinschaut, wenn auf der nächsten Demo das Hakenkreuz auf die israelische Fahne gekritzelt wird.
Zur Pluralität des Antisemitismus – oder: Eine Form reicht, wenn es die eigene ist
„Der Kampf gegen Antisemitismus ist untrennbar mit dem Kampf gegen alle Formen rassistischer [...] Diskriminierung verbunden.“– Zeile 9
Ein richtiger Satz. Aber nicht jeder richtige Satz ist auch ein klares Konzept. Denn der Antrag versäumt, auch nur ansatzweise zu benennen, in welchen Formen Antisemitismus konkret auftritt. Kein Wort über Rechtsextreme, nichts zu islamistischen Predigern, keine Analyse des verschwörungsideologischen Milieus, das Juden als Drahtzieher der „Neuen Weltordnung“ sieht. Der Antisemitismus, der hier vorkommt, ist ein Phantom – sichtbar nur dort, wo er angeblich zur Disziplinierung linker Israelkritik herhalten muss.
„Dieses Vorgehen unterläuft den Kampf gegen Antisemitismus als komplexe, gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“– Zeile 30
Komplex ist hier ein Euphemismus für: diffus. Der Antrag reklamiert Komplexität, wo er nur Vermeidung bietet. Er ruft nach einer „gesamtgesellschaftlichen Aufgabe“, weigert sich aber, konkret zu werden. Denn wer konkret wird, müsste anerkennen, dass es Antisemitismus auch in den eigenen Reihen gibt – und nicht nur im Innenministerium.
Der Antrag G.03 artikuliert ein reales Problem: die politische Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs. Doch statt dieses Problem differenziert zu analysieren, macht er es zum Zentrum – und entleert den Antisemitismus selbst seiner Substanz. Die jüdische Existenz, die er vorgibt zu schützen, kommt nur noch als argumentative Figur vor – nicht als Realität, die jeden Tag bedroht ist.
Dieser Antrag ist kein Fundament im Kampf gegen Antisemitismus. Er ist ein intellektuelles Rückzugsgefecht, eine Rhetorik der Rechthaberei gegen eine Realität, die sich nicht definieren lässt. Möge der Parteitag klüger sein als seine Anträge.
Quelle: Antragsheft 2
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